Ein Bericht aus der Praxis, wie es nicht laufen sollte!
Es ereignete sich 2012, meine Tochter, ADHS diagnostiziert und mediziert, eröffnete mir, mit ihren zarten 17 Jahren, das sie schwanger ist, und das Kind zur Welt zu bringen gedenkt.
Ich, 50 Jahre alt, selbst ADHS und autistische Züge, reagierte ziemlich panisch und vielleicht auch unpädagogisch, aber meine Tochter blieb, trotz aller eilends organisierten Beratungsgespräche, stur ( das hat sie von Mami) und kämpfte wie eine Löwin um das Recht ihres Sohnes, leben zu dürfen.
Was in der Chirurgie beim Entfernen des Blindarmfortsatzes ein knappes Jahr zuvor, noch komplikationslos funktioniert hatte, nämlich das ein Arzt zugab, das eine Psychiatrische Grundkonstitution bei ADHS, zu erheblichen Wechselwirkungen, z.B. bei Medikamenten oder in der Schmerzwahrnehmung, führen könnte, und das er darüber nicht ausreichend informiert sei (musste er auch nicht als Chirurg, er war klug genug, auf die Mutter zu hören) wurde in der Gynäkologie zum Riesenproblem.
Jeder, mit dem meine, unmedizierte Tochter dort zu tun hatte, reagierte beängstigend stereotyp auf meinen warnenden Satz:“ Meine Tochter hat ADHS“ Die Reaktion war ein herablassendes Lächeln und ein hochnäsiges „Damit kennen wir uns schon aus!“
Irgendwann begab ich mich, irritiert von den Reaktionen, an meinen PC in der Hoffnung, das schon irgendwer was zu dem Thema geschrieben hatte, eine Gebrauchsanleitung, eine kurze Erklärung der Besonderheiten, die zu beachten sind, und fand: gähnende Leere, nichts im Internet, nichts dazu in den Fachbüchern…
Meine Tochter war jetzt nicht nur Asthmatikerin und ADHS (was in der Kinderklinik schon nervig genug war, für mich als Mutter, in der Interaktion mit Schwestern mit Bildzeitungsmentalität, die meiner Tochter hinter meinem Rücken empfahlen, doch einfach mal, ohne das Mama zu sagen, ihr Methyplphenidat abzusetzen) sondern auch noch schwanger.
Was macht denn eigentlich ein ADHS aus? :
http://de.wikipedia.org/wiki/Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivit%C3%A4tsst%C3%B6rung
http://www.hand-in-hand-rheinneckar.de/typische-probleme
Für mich als erfahrene Mutter wäre insbesondere von Belang gewesen, die Krankenschwestern und Ärzte und Hebammen vor Ort im Krankenhaus, als kompetente Ansprechpartner zu finden, die auch mal zugeben können, was nicht zu wissen.
Und meine Tochter hatte Pech, ihre Schwangerschaft eskalierte zum Alptraum:
Meine Tochter hatte eine Asthmakrise nach der nächsten, jedes Mal mit Krankenhausaufenthalt.
Das fand ein jähes und schockierendes Ende, als die peripheren Zugänge meiner Tochter immer (aufgrund dessen das die nicht 24 h durchliefen ) wieder zugingen, und irgendwann die Entscheidung gefällt wurde, jetzt musste ein
http://de.wikipedia.org/wiki/Zentraler_Venenkatheter her.
Die Probleme nahmen ihren Anfang, als ich, als selbst in der Medizin seit 30 Jahren tätige, und vor allem, mit 16 Jahren an Erfahrung, was das ADHS meiner Tochter und ihr Verhältnis zu Spritzen angeht (sie ist selbst im Status 3 Asthmaanfall noch fähig gewesen, zur Türe zu taumeln, nach der Androhung einer Blutabnahme) den Anästhesisten bat, während dem Legen dabei sein zu dürfen, zunächst wurde mir das zugesagt, im Aufwachraum hieß es abrupt „Nein“ ….er meinte, ganz Halbgott in Weiss, das er sich mit ADHS auskenne.
Nur wirken Lokalanästhetika unter ADHS anders, das wissen die meisten Betreffenden, viele gute Zahnärzte, und auch viele gute Anästhesisten, der Chefarzt der Anästhesie dieses Krankenhauses gehörte nicht dazu und schlimmer noch, mir wurde mit wirklich bescheuerten Gründen verwehrt, selbst anwesend sein zu dürfen (ich arbeite selbst in einem OP, Blauzeug tragen ist für mich Alltagsroutine UND ich wusste haargenau, wie meine Tochter auf Schmerzen, insbesondere Schmerzen die sie nicht kennt, und nicht erwartet, reagiert)!
Ich durfte also als Mutter, entgegen aller vorherigen kollegialen Zusicherungen, von außen zuhören, wie meine Tochter wie ein geschundenes Tier in äußerster Qual und Schmerz, aufheulte, weil der Dorfdepp an Chefarzt mir nicht zugehört hatte.
Er hatte mich nicht mal ausreden lassen, als ich ihn vorsichtshalber, daran erinnern wollte, das er eventuell mehr vom Lokalanästhetikum braucht, und es auch länger dauern könnte, bis das wirklich wirkt.
Er hat dann auch prompt daneben gestochen, weil er trotz allem, und mit all seinem angeblichen Wissen über ADHS; einfach mal annahm, das meine Tochter, schockiert, deshalb natürlich rasend wütend, weil sie ebenfalls angelogen wurde, das ich anwesend sein durfte und nun schon vorher panisch vor Angst, ohne jegliche Schmerzbetäubung, stillhalten würde.
Beim zweiten Versuch, bei dem sie dann von 3 Mitarbeitern festgehalten werden musste, lag der Katheter dann endlich, ich WAR mediziert und nur deshalb noch kontrolliert genug, als der Chefarzt wieder rauskam, ihn nur anzufauchen, das ich ihn verklage, und zwar auf ALLE Behandlungskosten, auch die psychologischen, wenn er mein Kind mit seiner Vorgehensweise traumatisiert hat!
Die Posse mit “ Ich kenne mich mit ADHS aus“ nahm dann auch weiter munter ihren Verlauf. 6 Wochen vor der Geburt, war dann Schluss mit Lustig, sie entwickelte eine Schwangerschafts- Gestose: http://www.rund-ums-baby.de/gestose.htm , mit den Werten immer ganz kurz vor einem HELLP-Syndrom
http://de.wikipedia.org/wiki/HELLP-Syndrom.
Meine Tochter war so aufgequollen, das kein Paar Schuhe mehr passte, der Blutdruck in astronomische Höhen kletterte, und sie unmediziert, überwiegend alleine (ich musste ja auch noch arbeiten gehen) mit 17, in einer relativ fremden Umgebung, mit, für sie nicht nachvollziehbaren Regeln, klarkommen musste.
Und ich stand als werdende Oma immer wieder, vor oder nach dem Dienst in der eigenen Klinik, als „Übersetzerin“ zwischen meiner Tochter und dem Rest der Station, betonte immer wieder, das es wichtig ist, meiner Tochter ausreichend lang Zeit zu lassen, um sich mental auf eine belastende Situation einzustellen, versuchte gebetsmühlenartig immer wieder zu erklären, das ihre emotionalen Ausraster im Angesicht einer plötzlichen Situationsveränderung, keine böse Absicht, keine schlechte Erziehung, sondern auch eben Symptom des ADHS war, das Ihre Impulskontrolle vermindert sei. Versuchte meiner Tochter begreiflich zu machen, das es eben manchmal nicht die Krankenschwestern schuld sind, sondern der Arzt im OP festgehalten sein könnte, und deshalb die Zeit nicht einhalten kann.
Meine Bemühungen waren wenig effektiv, ein paar der Schwestern begriffen irgendwann, wie meine Tochter funktioniert und nahmen entsprechende Rücksichten, lernten klar und eindeutig, mit genügend Vorwarnzeit und verlässlichen Zeitangaben, zu kommunizieren und meine Tochter fing an, diesen Schwestern begreiflich zu machen, wie unendlich peinlich ihr das ist, so sehr ihre Kontrolle zu verlieren.
Aber es gab eben auch viele Situationen, wo Informationen gegeben wurden, z.b. bezüglich einer Verlegung, in ein Perinatalzentrum, die der nächste Arzt dann wieder umstieß. Das ist so, Krankenhäuser funktionieren so, das weiß ich, ich habe in genügend davon gearbeitet.
Was ich nicht verstand, und bis heute nicht verstehe, das es selbst mir als Kollegin, nicht gelungen ist, eine Vereinbarung zu realisieren, das erst ich als Mutter informiert werde und erst dann, wenn sich alle einig sind, um meine Tochter nicht ständig mit nur halb ausdiskutierten Entscheidungen zu belasten, damit ich diese Entscheidungen meiner Tochter so begreiflich machen kann, das sie auch ankommen!
Irgendwann kam dann der Tag, wo sie von der gynäkologischen Station in die Wöchnerinnen Station verlegt wurde, natürlich von jetzt auf gleich, ohne Vorwarnung, innerhalb von 10 min…..es kam so, wie es absehbar war, ein neuer Pfleger, der sich auch noch auf eine Diskussion einließ, die Panik der Überforderung meiner Tochter, als einen persönlichen Angriff und ihre Ängste, die Station zu verlassen, wo sie mittlerweile gelernt hatte, die Schwestern einzuschätzen und sich mit ihren Mitpatienten verstand, zu verlassen, nicht ernst nahm.
Nicht das gesündeste und respektvollste Umgehen mit einem Menschen, der schon mit 17, seinem ADHS, einer Schwangerschaft und einer Gestose zu kämpfen hat!
Ich war zufälligerweise, mit einer ebenfalls bestens bezüglich ADHS geschulten Freundin anwesend und konnte mit der gemeinsam, grade so noch verhindern, das meine Tochter in einer Überreaktion das Krankenhaus verließ.
Diese letzte Woche, in der dann medikamentös die Geburt eingeleitet wurde, waren ihr Partner und ich, bis auf Nachts, fast Vollzeit anwesend, immer einer von uns dabei um zu „übersetzen“, zu beruhigen, abzulenken.
Die Frauen, die das hier lesen, ob mit oder ohne ADHS, die Kinder haben, wissen was eine Geburt bedeutet, den Männern empfehle ich, sich vor dem weiterlesen, dieses Video anzuschauen:
Wenn männer kinder kriegen – wehensimulator birth
Es kam wie es kommen musste, sogar unter der Geburt, wurde meine Tochter, die, nachdem es für einen Kaiserschnitt definitiv zu weit war, grade ziemlich ernstgemeint darum bat, erschossen zu werden, von der Ärztin noch angebrüllt!!! : „sie solle sich jetzt mal zusammennehmen, sich KONZENTRIEREN und hier nicht so RUM-FLENNEN!“
Das war der Moment, wo mir als Mutter UND als Person mit ADHS Diagnose, ganz unchristlich der Kragen platzte und ich ausgesprochen unkollegial und rasend wütend, ob dieser Respektlosigkeit, über den sich in Schmerzen krümmenden Körper meiner Tochter, zurückfauchte: „Noch so nen hirnlosen Satz und ich zeige Sie an, wegen Diskriminierung Behinderter!“
Er tat seine Wirkung, die Ärztin hielt sich den Rest der Geburt, mit solchen provozierenden Beleidigungen zurück, meine Tochter hatte Glück, sie war nur 6 Stunden in diesem Kreißsaal, ich weiß nicht und möchte es mir auch nicht ausmalen, was mit ihr mental passiert wäre, hätte sie, wie ich selbst 24 Stunden aushalten müssen….
Liebe Ärzte, liebe Hebammen, eure Provokationstaktiken mögen bei Normneurotypischen Frauen, das Quäntchen Kraft hervorlocken, das sie brauchen, um ihre Kinder zu gebären, einer Frau, grade einer unerfahrenen sehr jungen Erstgebärenden mit ADHS, tut ihr aber damit Schreckliches an.
Wir können uns nicht so gut konzentrieren, das wissen wir schon unser halbes Leben lang, und wir haben meistens schon in der Schule darunter gelitten, deshalb haben wir diese Diagnose, deshalb nehmen wir, wenn wir nicht schwanger sind, oft Medikamente dagegen.
Unter einer Geburt haben wir diese Medikamente aber nicht, und mit jeder dieser Provokationen erinnert ihr uns an das, von dem wir sowieso schon wissen, das wir es nur ungenügend beherrschen und wegen dem wir schon oft genug blamiert wurden, vor anderen, und ein Satz, wie der „man möge sich doch jetzt bitte konzentrieren!“ löst dann garantiert keine Kooperation aus, sondern eine Stinkwut.
Ich kann mich noch gut an den Moment erinnern, als mit vor knapp 18 Jahren unter der Geburt meiner Tochter, nach ungefähr 13 Stunden unproduktiven Wehen, einem Beckenbodenverschluss, vielen kleinen homöpathischen Kügelchen (ich wollte ja unbedingt in DIE damals führende Klinik für natürliche Geburt), völlig erschöpft, ganz un-naturheilkundlich der Geduldsfaden riss und ich der Hebamme das Fläschchen mit den Kügelchen aus der Hand schlug, und sie anbrüllte, wenn sie jetzt nicht SOFORT dafür sorgt, das ich eine PDA bekomme, würde ich sie wegen unterlassener Hilfeleistung verklagen.
Ich würde mich freuen, wenn sich auf diesen Artikel mehr Mütter mit ADHS melden würde, die von ihren Erfahrungen unter der Geburt berichten, die den Hebammen und Ärzten beschreiben, was sie sich besser und anders gewünscht hätten.
Liebe Ärzte, liebe Hebammen, ich habe diesen Artikel vor allem deshalb geschrieben, weil sich die Geburtssituation und auch die postnatale Befindlichkeit (z.b. beim Stillen) einer Frau mit ADHS so schwerwiegend auf ihr eigenes Verhältnis zu ihrem Kind auswirkt, sie ist viel mehr darauf angewiesen, das Ihr rücksichtsvoll und stützend da seid, ihr Mut macht, Dinge im Vorhinein deutlich erklärt und euch auch vergewissert, das dass was ihr zu sagen hattet, auch angekommen ist und sie bestärkt.